Der ehemalige SS-Schießplatz Hebertshausen in Dachau

von Bernd Empen

Der ehemalige SS-Schießplatz Hebertshausen in Dachau

von Bernd Empen

Der ehemalige SS-Schießplatz Hebertshausen auf dem Gemeindegebiet von Dachau ist ein bedeutsamer historischer Ort für Bayern, der untrennbar mit den Verbrechen im KZ-Dachau verbunden ist. Der systematische Massenmord an über 4000 sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Schießplatz stellt eines der schlimmsten Verbrechen der Naziherrschaft in Bayern dar, über das bisher wenig geforscht und veröffentlicht worden ist. Entsprechend gering war bisher auch das Wissen um die genauen Vorgänge der sogenannten "Aussonderungen", wie diese Verbrechen verschleiernd bezeichnet wurden. Auch die bisherige Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Dachau geht nur sehr allgemein auf dieses dunkle Kapitel ein.

Der aktuelle Kenntnisstand

1997 veröffentlichte der Historiker Reinhard Otto aus Lemgo in Nordrhein-Westfalen seine Dissertation über die sog. "Aussonderungen" und den Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener im Reichsgebiet in den Jahren 1941/42. Diese Arbeit ist im Dezember 1998 als Buch unter dem Titel "Wehrmacht, Gestapo und sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/42" im Oldenbourg-Verlag erschienen. Dank seiner Arbeit wissen wir heute mehr über die Ereignisse auf dem Schießplatz.

Im Juli 1941 wurde der sogenannte "Kommissarbefehl" auf das deutsche Reichsgebiet ausgedehnt. Damit wurden aus den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern sog. "untragbare Elemente" - also Juden, Kommunisten, Angehörige der sowjetischen Elite und "Aufrührer" - ausgesondert und im nächstgelegenen Konzentrationslager ermordet. Die Aussonderungen wurden von Sonderkommandos der Gestapo in den Kriegsgefangenenlagern der Wehrmacht vorgenommen, die dabei sich im wesentlichen auf Denunzierungen stützten und regelmäßig Folter anwandten. Die Opfer wurden völkerrechtswidrig von der Wehrmacht aus der Gefangenschaft entlassen und der Gestapo übergeben, worauf sie innerhalb weniger Tage getötet wurden. Die meisten "ausgesonderten" Kriegsgefangenen in Süddeutschland wurden nach Dachau gebracht. Die in Hebertshausen ermordeten sowjetischen Soldaten kamen überwiegend aus Gefangenenlagern auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg in der Rhön, wo neben einem Mannschaftslager auch das einzige Lager für höhere Offiziere eingerichtet war. Von dem Offizierslager wurden 1100 Offiziere nach Dachau gebracht, von den Mannschaftslagern in Hammelburg und Nürnberg-Langwasser etwa 2000 Personen. Aus dem Wehrkreis Stuttgart wurden etliche hundert Mann nach Dachau gebracht. Aus dem Wehrkreis München kamen sowjetische Soldaten aus den Lagern in Memmingen und Moosburg. Von den in den Gefangenenlagern "Ausgesonderten" hat keiner überlebt, der nach Dachau gebracht wurde. Ihre Namen durften nach Anweisung durch die SS-Führung im KZ Dachau nicht in die Lagerliste aufgenommen werden, sondern nur die Nummern ihrer Erkennungsmarken notiert werden. So sollte ihre Identifizierung für immer unmöglich gemacht werden.

Über den Hergang der Morde in Dachau berichtet der Augenzeuge Josef Thora bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht Nürnberg im Jahre 1950. Er hatte sich als Dolmetscher des Kriegsgefangenenlagers Moosburg freiwillig als Begleiter eines Transportes mit "Ausgesonderten" gemeldet, um zu erfahren, was mit ihnen in Dachau geschah. Er schildert seine Erlebnisse so:
"In eine der Schießfluchten (des Schießplatzes Hebertshausen) fuhren die LKW mit den russsischen Kriegsgefangenen rückwärts hinein. Die Kriegsgefangenen mußten aus den LKWs herausspringen und sich in der Flucht in der Reihe von 5 Personen aufstellen. Darauf wurde die Anordnung gegeben, daß sich alle Kriegsgefangenen nackt ausziehen mußten. Auf den Wällen standen einige SS-Soldaten mit bereitgestelltem Maschinengewehr.
Die russischen Kriegsgefangenen merkten in dem Zeitpunkt, wo sie sich entkleiden mußten, was mit ihnen geschehen sollte. Die Reaktion darauf war bei ihnen sehr verschieden. Eine Anzahl führte den Befehl schweigend aus und stand wie gelähmt dort, andere sträubten sich, fingen an zu weinen und zu schreien, riefen vor allem nach mir als dem Dolmetscher. Ich sollte den SS- Leuten verdeutschen, daß sie Gegner des Bolschewismus seien, daß sie Mitglieder der russischen Kirche seien. Zum Beweis dafür zeigten sie mir das auf ihrer Brust hängende russische Kreuz. Da ich natürlich nichts ausrichten konnte, entfernte ich mich in eine andere Ecke des Schießplatzes. Nach kurzer Zeit begann die Exekution der Kriegsgefangenen. Eine Gruppe von 5 SS-Leuten faßte je einen Kriegsgefangenen bei der Hand und führte diesen im Laufschritt aus der einen Schießflucht in die andere hinein, um sie an die im vorderen Teil der Schießflucht befindlichen etwa 1 m hohen Holzpflöcke anzubinden. Hierfür waren offenbar eigene Vorrichtungen getroffen, denn das ging sehr schnell. Darauf entfernten sich die SS- Leute und es stellte sich in einer Entfernung von etwa 15 m eine Gruppe von meines Wissens 20 bewaffneten SS-Leuten auf. Auf ein Kommando feuerte jeder dieser SS-Leute einen Schuß ab. Ein großer Teil der 5 Gefangenen sank sofort, aber langsam zu Boden. Wenn noch einer stehenblieb, lief der Leiter des Kommandos nach vorne und gab dem betreffenden Gefangenen einen Genickschuß. Dann trat das Exekutionskommando beiseite und es fuhr eine weitere Gruppe von SS-Leuten zu den erschossenen Gefangenen, um diese auf einen Rollwagen zu verladen. Man fuhr dann die Leichen aus der Schießflucht heraus und warf sie auf einen Haufen."

Nach der bislang herrschenden Meinung der historischen Forschung wurde vor allem 1941/42 ein großer Teil der sowjetischen Kriegsgefangenen aus ideologisch bedingter Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Schicksal bzw. der dezidierten Vernichtungsabsicht nicht registriert. Das habe zur Folge gehabt, daß diese Gefangenen in einem rechtsfreien Raum lebten und man daher bei ihrem Tod keinerlei Rechenschaft schuldig gewesen sei, denn in formaler Hinsicht hätten sie überhaupt nicht existiert. Dementsprechend sei der Tod vieler Rotarmisten nicht vermerkt worden; sie seien einfach in Massengräbern verscharrt worden, so daß im Gegensatz zu den Verstorbenen anderer Nationen im Nachhinein ein Nachweis über ihren Verbleib und ihre Grablage nicht möglich sei. Infolgedessen ruhe auf den sowjetischen Kriegsgräberstätten in Deutschland eine unbekannte, auf jeden Fall immens hohe Anzahl von Toten. Für den Friedhof des Stalag 326 (VI K) Senne beispielsweise nennt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Zahl von 66 186 Toten, von ihnen mehr als 65 000 unbekannt.

Die Bestände der Wehrmachtauskunftstelle im Archiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation in Podolsk (ZAMO) und in der Deutschen Dienststelle Berlin

Tatsächlich jedoch sind bis auf wenige Ausnahmen sämtliche sowjetischen Kriegsgefangenen, zumindest soweit sie ins Deutsche Reich gebracht wurden, mit allen ihren persönlichen und militärischen Daten (Orte des Arbeitseinsatzes, Krankheiten und Lazarettaufenthalte, Impfungen, Fluchten, Bestrafungen u. ä.) in den Lagern auf sog. Personalkarten registriert und in Form von Zugangslisten an die Wehrmachtauskunftstelle (WASt) in Berlin gemeldet worden. Im Todesfall gingen diese Personalkarten zusammen mit anderen Unterlagen (z. B. Erkennungsmarken, Sterbefallnachweise, Abgangslisten usw.) nach Berlin, so daß die WASt jederzeit einen Überblick über sämtliche verstorbenen Kriegsgefangenen besaß, auch über die an die SS ausgelieferten Personen, die in Dachau ermordet wurden.. Diese Unterlagen sowie weitere die Gefangenen betreffende Bestände wurden 1943 nach Meiningen ausgelagert und 1945 den sowjetischen Truppen übergeben; seither galten sie als verschollen.
Es ist dem Historiker Dr. Reinhard Otto und Rolf Keller (Niedersächs. Landeszentrale für politische Bildung) gelungen, diese Karteiunterlagen aufzufinden; einige Fragmente liegen in der Deutschen Dienststelle in Berlin, der Nachfolgerin der WASt, der weitaus größte Teil aber im Archiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation in Podolsk (ZAMO); dieses wurde von den beiden Historikern bei mehreren Besuchen einer ersten Sichtung unterzogen. Dabei stellte sich das Folgende heraus:

* Die Personalkarten der im Reich verstorbenen sowjetischen Soldaten (ca. 370.000) liegen offensichtlich vollständig in diesem Archiv, dazu weitere Karteiunterlagen betr. Lazarettaufenthalte, Listen über Transporte in die bzw. aus den Kriegsgefangenenlager(n) sowie von Verstorbenen. Hinzu kommt eine gesonderte Kartei von 80.000 Offizieren. Über die Personalkarten sind auch umfangreiche Überstellungen in die verschiedenen Konzentrationslager nachweisbar. Die Karteiunterlagen erlauben in jedem Fall einen genauen Nachweis über den Verbleib eines jeden Gefangenen.

* Diese Unterlagen wurden nach dem Krieg aus ihrer ursprünglichen Ordnung gerissen und völlig willkürlich zu neuen, jeweils etwa 100 Karteikarten umfassenden Aktenbänden zusammengebunden. Eine Ordnung etwa nach Lagern oder nach dem Alphabet besteht nicht; die Offizierskartei ist nach dem russischen Alphabet neu geordnet worden.

* Der Zugriff von russischer Seite ist über eine nach dem Krieg erstellte Kartothek ausschließlich personenbezogen möglich, so daß sich eine Suche etwa nach Verstorbenen, die auf einem bestimmten Friedhof liegen, undurchführbar ist. Eine Übersicht über den Verbleib von Verstorbenen läßt sich nur erstellen, wenn der gesamte Bestand systematisch erschlossen wird. Da auf russischer Seite - wie im übrigen auch auf der deutschen - keinerlei Kenntnis der Wehrmachtbürokratie vorhanden ist, konnten Anfragen von Angehörigen sowjetischer vermißter Soldaten - monatlich gehen etwa 7000 Anfragen in Podolsk ein - deswegen in den meisten Fällen bisher nur unzureichend beantwortet werden.

Die geplante Erschließung der Bestände

Nach jahrelangen Verhandlungen sind die russische und deutsche Regierung in diesem Jahr übereingekommen, die Unterlagen über die sowjetischen Kriegsgefangenen in Berlin und Podolsk systematisch zu erschließen, auf EDV-Anlagen zu speichern und Angehörigen und Historikern zugänglich zu machen. Dabei werden in einem Pilotprojekt zuerst die Daten der 80.000 Offiziere ausgewertet, weil hier der Bestand besser geordnet und leichter zugänglich ist. Von deutscher Seite ist das Kulturministerium federführend. Dr. Reinhard Otto und Rolf Keller werden von den Kultusministerien von Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen für die wissenschaftliche Begleitung der Arbeit freigestellt. Damit werden in absehbarer Zeit die Namen und Schicksale der über 1.000 auf dem ehemaligen Schießplatz Hebertshausen ermordeten sowjetischen Offiziere bekannt sein.

Geschichte des SS-Schießplatzes Hebertshausen nach dem Krieg.

Das über 8 ha. große Gelände wurde nach dem Krieg von den amerikanischen Truppen in Besitz genommen und weiter als Schießübungsplatz benutzt. In den fünfziger Jahren wurde das Gelände an den Freistaat Bayern abgegeben und vom Finanzministerium verwaltet. Dessen Absicht war es anscheinend, den Gedenkort und damit auch die Geschehnisse an diesem Ort in Vergessenheit geraten zu lassen. Denn man ließ im Laufe der Jahrzehnte den Platz dermaßen verwildern, dass er schließlich als "Wildbienenbiotop" unter Naturschutz gestellt werden konnte. Im ehemaligen Wachhaus der SS wurden von der Stadt Dachau obdachlose Männer einquartiert, die bis vor kurzem dort wohnten und die Schießbahnen als Auslauf für ihre Hunde betrachteten.

1964 wurde vor den Kugelfängen ein Gedenkstein des Künstlers Will Elfers aufgestellt, den die Lagergemeinschaft Dachau gestiftet hatte. Er wurde vom Finanzministerium nach kurzer Zeit von dort entfernt und am Eingangstor zum Schießplatz aufgestellt. Alle Hinweistafeln zum Gelände ließ man beseitigen und die Schießbunker verfallen. Bereits 1966 wandte sich die sowjetische Botschaft mit einem offiziellen Schreiben an das Auswärtige Amt und beklagte vergeblich die Verwahrlosung des ehemaligen Schießplatzes. Das Gedenken an das Geschehen wurde in der Zeit des Kalten Krieges vor allem von kleinen kommunistischen Gruppen wachgehalten. In den achtziger Jahren kamen dann viele Gruppen aus der Friedensbewegung dazu, die den "Friedensweg Dachau-Hebertshausen" bildeten.

Aber erst 1997 gelang es einer Gruppe engagierter Bürger, diese Politik des Vergessens und Verdrängens von Seiten der staatlichen Stellen aufzuhalten. Das Finanzministerium reagierte schließlich auf den Druck und das Gelände wurde an das Kultusministerium übertragen, welches es in die Obhut der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit gegeben hat. Als erste Maßnahme wurde der Schießbunker vor dem drohenden Einsturz bewahrt, indem die Betondecken mit einer aufwendigen Stahlkonstruktion abgestützt wurden. Der Wildwuchs von Bäumen und Sträuchern um den Kugelfang wurde zurückgeschnitten und vor allem wurde der 4 Tonnen schwere Gedenkstein wieder an seinen ursprünglichen Aufstellungsort zurückversetzt. Damit war ein deutliches Zeichen gesetzt, daß die staatliche Politik in Bezug auf den Gedenkort ehemaliger Schießplatz Hebertshausen sich verändert hat. Inzwischen sind sogar einige Hinweistafeln auf dem Gelände aufgestellt worden, die den Besucher in mehreren Sprachen informieren.

Die Generalkonsulate von Rußland und der Ukraine in München haben den ehemaligen Schießplatz Hebertshausen inzwischen als Gedenkort für ihre gefallenen Soldaten angenommen und veranstalten die jährlichen Gedenkfeiern am 23.Februar zum Tag der Soldaten an diesem Platz. Aber es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis der ehemalige Schießplatz Hebertshausen von der benachbarten Gemeinde dieses Namens in gleicher Weise in ihre Geschichte aufgenommen wird, wie es in Dachau nach vielen Mühen gelungen ist.